Nie ist Santorin beschaulicher als im Herbst, wenn die Charterflugzeuge ihren Dienst eingestellt haben und Urlauber Umwege in Kauf nehmen müssen. Doch die Reise auf die griechische Insel lohnt sich.
Wie klingt der griechische Herbst? Er klingt wie das Heulen der Vorias, der feuchtkalten Nordwinde, die sich über der verträumten Strandpromenade des Ortes Kamari im Süden der Kykladeninsel Santorin austoben. Der Wind lässt die Wellen gegen den schwarzen Lavastrand branden. Und er fegt die Spuren eines langen Sommers hinweg, in dem Santorin Besucherrekorde vermelden konnte.
Allein von Januar bis September besuchten 298.000 Menschen die Insel, das sind 26,1 Prozent mehr als im gesamten Vorjahr. Und 2014 ist noch nicht zu Ende! Denn die Romantiker unter den Urlaubern fahren jetzt nach Santorin, wenn das gedämpfte Herbstlicht wie ein Filter über der Landschaft liegt und sich die trubelige Urlaubsinsel in ein entschleunigtes Dorfidyll verwandelt.
Allein die Kykladeninsel zu erreichen ist ein kleines Abenteuer. Wenn die Chartermaschinen, wie jetzt im November, nicht mehr fliegen, können Besucher nur noch mit der Fähre von Piräus aus oder mit Aegean Airlines via Athen nach Santorin reisen. Das schreckt etliche ab. Schade, denn nun haben Flaneure auf dem Nymfon, der Strandpromenade, viel Platz.
Touristenorte kehren zur Ruhe zurück
Nur eine Handvoll Menschen bummelt über den Boulevard – überwiegend kinderlose Paare, aber auch Saisonarbeiter, die kurz vor ihrer Abreise die Seite gewechselt haben und erstmals freie Tage genießen. Sie sind stiller als die typischen Sommerurlauber.
Sonst hat sich eigentlich kaum etwas verändert – das Meer, der schwarze Strand aus Lavakies, dahinter das steil in die Brandung fallende Massiv des Hausbergs Messa Vouno. Ein in Stein gemeißeltes, leicht melancholisches Stillleben. Selbst die Folkloremusik, die aus den Lautsprechern klingt, klingt merkwürdig gedämpft: Warme Lautenklänge der Bouzouki statt Enrique Iglesias' "Bailando" oder David Guettas "Lovers in the Sun" fluten aus den Lautsprechern der wenigen noch geöffneten Tavernen. Und am Strand, da, wo noch vor Wochen allmorgendlich ein Kampf um die stets raren Liegen tobte, werden die letzten Schilfschirme abgeschraubt.
Einer Springflut gleich rauscht das aus dem Pool des "Hotels Elixir" abgelassene Wasser durch ein unter dem Boulevard zum Strand führendes Ablassrohr, bahnt sich dann seinen Weg über den schwarzen Strand bis zum Meer.
Die Illusion des Sommers lebt fort
Der Strom reißt liegen gebliebene Sonnenmilchtuben und Eisverpackungen mit. Doch Dimidos, der umtriebige Hausmeister im Blaumann, tilgt auch diese Spuren des Sommers. Er ist ein Spaßverderber, so, wie das Putzkommando auf einem Musikfestival, das am Morgen aufzuräumen beginnt, während die letzten Partygäste noch tanzen.
Anton Sebastian, der 27-jährige Kellner im Hotel "Reflexion Sea", hat eben erfahren, dass er nicht mehr benötigt wird. "Ich hatte erwartet, noch eine Woche länger zu arbeiten. Aber es ist okay so. Übermorgen nehme ich die Fähre", sagt er. Er wird in seine nordrumänische Heimat fahren, wo seinen Eltern ein kleiner Hof in den Karpaten gehört.
Doch im Hotel "Bellonias Villas" bleibt die Illusion eines Sommers, der nie endet, noch ein wenig erhalten: Am windgeschützten Pool auf bequemen Diwanen lümmeln sich Sunnyboys und Frauen mit Modelmaßen und schlürfen Cocktails. Gut gelaunt verteidigt der Barmann seine Bastion, summt die Hits des Sommers mit, als wolle er gegen das Saisonende ansingen.
Das Meer hat noch 20 Grad Celsius
Vor den Restaurants, die noch geöffnet haben, dem "Zorbas", dem "Almira", wird jetzt offensiver um das auf dem Boulevard flanierende Häuflein Gäste gebuhlt. Das Prinzip ist einfach: keine Gäste, keine Jobs mehr. Und für viele Saisonarbeiter zählt jeder Tag. Die Besitzer entscheiden oft über Nacht, ob sie am nächsten Tag dichtmachen – oder einen weiteren Tag Personalkosten riskieren. Wer jetzt sein Geld für den langen Winter nicht verdient hat, schafft es nicht mehr.
Das gilt auch für das Häuflein chinesischer Masseure am Strand. Verirrt sich doch ein Gast auf eine der wenigen Liegen, wird er umgehend im lückenhaften Englisch und unter Zuhilfenahme einer kleinen Tafel, auf der die Fußreflexzonen aufgezeichnet sind, umworben. Zumeist erfolglos. Die Menschen, überwiegend deutsche und britische Touristen, wollen ein letztes Mal im Meer baden – und vor allem in Ruhe gelassen werden. Die Griechen halten sich daran, sie setzen ohnehin bei 20 Grad keinen Fuß mehr ins Wasser. Zu kalt!
Und gedanklich sind sie schon in der Osterzeit, wenn Santorin wieder aus dem Winterschlaf erwacht und die nächste Saison beginnt. Monate werden vergehen, bis zur Wiederauferstehung Santorins um die Osterzeit.
Monate, die vor allem für die Katzen hart werden. Sie ahnen die Entbehrungen, die der Winter für sie bedeutet. Nach einer Zeit des Überflusses streichen sie auf der Suche nach den verschwundenen freigiebigen Sommerurlaubern durch die Hotelhöfe in der Hoffnung, auf ebenso freigiebige Herbstgäste zu treffen. Jetzt, im November, haben sie noch Glück. Doch spätestens im Dezember wird es schwerer, aber dann ist ja bald Weihnachten.
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